Intensivstationen in der Pandemie Droht jetzt die Triage an deutschen Krankenhäusern?

Düsseldorf · Die Zahl der Intensivbetten wird knapper. Dadurch tritt ein altbekanntes Problem auf, das bald wieder diskutiert werden könnte: Die Frage, wer behandelt wird und wer nicht? Noch ist es nicht so weit, doch wie steht es um das Thema Triage Ende 2021? Der Ethikrat hat dazu reagiert.

 Ein Patient wird mit Hilfe eines Beatmungsgeräts in einem Krankenhaus versorgt (Symbolfoto).

Ein Patient wird mit Hilfe eines Beatmungsgeräts in einem Krankenhaus versorgt (Symbolfoto).

Foto: dpa/Jens Büttner

Kurz vor Weihnachten 2020 häuften sich Berichte über eine angebliche Anwendung der Triage in sächsischen Krankenhäusern. Nach einer langen Zeit der Entspannung in diesem Jahr steigen in den letzten Wochen die Infektionszahlen wieder stark an und damit auch die Zahl der Intensivpatienten. Am 5. November meldete das RKI eine Rekordzahl von 37.120 Neuinfektionen binnen eines Tages. Am 8. November lag die Inzidenz bei 201,1 – so hoch wie noch nie.

Könnte die Triage wieder ein ernsthaftes Problem werden? Die Sorge bei Mediziner wächst, da bereits knapp 2500 Intensivbetten belegt sind, ähnlich viele wie vor einem Jahr, wie die „Tagesschau“ mitteilte. Wir beantworten die wichtigsten Fragen zu dem Thema.

Was bedeutet Triage?

Vereinfacht gesagt bedeutet die Triage, dass die Mediziner entscheiden müssen, wen sie zuerst behandeln. Triage ist französisch und heißt auf Deutsch „Auswahl“ beziehungsweise „Sichtung“. In Notaufnahmen gehört die Triage schon lange zum Alltag. Die Mediziner entscheiden anhand der Schwere der Verletzung, wer zuerst behandelt wird. Kommen zum Beispiel zeitgleich ein Patient mit einem verstauchten Arm und eine Patientin mit einem Herzinfakt in die Notaufnahme, wird die Patientin mit Herzinfakt im Normalfall als erstes behandelt. In normalen Zeiten werden also die Patienten zuerst versorgt, denen es am schlechtesten geht. In Krisenzeiten kann sich das ändern.

Triage in der Corona-Pandemie

In der Corona-Pandemie werden die Ressourcen in den Krankenhäusern zunehmend knapper. Intensivbetten sind belegt, die Kliniken sind zum Teil aus- oder sogar überlastet. Das heißt, dass die Mediziner im schlimmsten Fall entscheiden müssen, wem sie Sauerstoff geben – und wem nicht. Für diese Entscheidung gibt es festgelegte Leitlinien. „Die Priorisierung von Patienten soll sich deshalb am Kriterium der klinischen Erfolgsaussicht orientieren“, heißt es in den klinisch-ethischen Empfehlungen, die in Zusammenarbeit mit der „Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften“ veröffentlicht wurden. Der Sinn dieses Kriteriums: Wenn ein Patient die Intensivstation schnell wieder verlassen kann, wird auch schneller ein neuer Platz auf der Intensivstation frei. Patienten mit geringer Aussicht auf Genesung können also im Zweifel nicht behandelt werden. Kriterien für die Erfolgschancen können der Schweregrad der Erkrankung, der allgemeine Gesundheitszustand und Begleiterkrankungen, die möglicherweise die Diagnose verschlechtern, sein.

Wie ist die rechtliche Grundlage der Triage?

Bei den oben genannten Empfehlungen handelt es sich um Leitlinien, nicht um Gesetze. Dementsprechend sind die Leitlinien nicht rechtlich bindend, die Ärzte sollten aber im Ernstfall nach ihnen handeln. Der Strafrechtler Michael Kubiciel hat die Triage-Regelungen bei Twitter rechtlich einordnet. Er unterscheidet zwischen zwei Situationen: Im ersten Fall gibt es einen freien Beatmungsplatz, aber mehrere Patienten. Hier dürfen die Ärzte laut Kubiciel frei entscheiden, welchen Patienten sie beatmen. Im Ernstfall machen sie das für gewöhnlich nach den Ärztlichen Richtlinien. Laut Kubiciel handeln die Mediziner danach immer rechtmäßig. „Wenn zwei Handlungspflichten konkurrieren, der Arzt aber nur eine erfüllen kann, ist das Unterlassen der anderen kein Unrecht“, schreibt er.

Die andere Situation ist laut dem Strafrechtler rechtlich schwieriger. Wenn es keine freien Betten mehr gibt, aber neue Patienten kommen, stehen die Mediziner vor der Frage: Behandeln sie zum Beispiel junge Menschen und stoppen gleichzeitig die Behandlung eines älteren Menschen mit geringen Genesungsaussichten? Die vorherrschende Meinung in der Rechtswissenschaft und im Deutschen Ethikrat sei, dass die Ärzte das Bett im Zweifel nicht räumen dürfen, so Kubiciel. Tun sie es doch, könnten sie strafrechtlich belangt werden.

Droht Ende 2021 wieder eine Einführung der Triage in Krankenhäusern?

Es gibt bereits Anzeichen dafür, dass Triage wieder zum Einsatz kommt und die Sorge der Mediziner wächst. Die Tübinger Ärztin Lisa Federle, bekannt als Initiatorin des Tübinger Test-Modells, warnte in einem Interview Anfang November vor einer „dramatischen Situation“ und, dass man bei Nicht-Einschreiten auf eine Triage zulaufe. Verstärkt äußerten sich zuletzt Stimmen, die eine Rückkehr der kostenlosen Tests fordern. Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Alena Buyx, sprach sich gegen eine Triage für Ungeimpfte aus, auch wenn sich die Situation in den Krankenhäusern weiter verschlimmern sollte. „Lebensrettende Maßnahmen vorzuenthalten, weil der Zustand vermeidbar gewesen wäre, widerspricht ethischen Prinzipien der Medizin“, sagte Buyx in einem Interview mit dem „Tagesspiegel“. Der  „Bayerische Rundfunk“ berichtete Ende der vergangenen Woche von der Lage im Klinikum Großhadern in München, bei der die Grenze an freien Intensivbetten schon erreicht ist. Ein Intensivpfleger offenbarte, dass morgens schon triagiert werde und nicht jeder Intensivpatient mit einem Intensivbett versorgt werden könne. Die Lage ist also mancherorts als ernst zu bezeichnen.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich im Dezember 2020 bei RP ONLINE. Wir haben ihn unter der veränderten Lage in vielen Punkten aktualisiert. Einige Kommentare beziehen sich noch auf die Ursprungsversion. Aus Transparenzgründen lassen wir sie stehen.

(sed/aja)
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